Wie in meinem ersten Eintrag über TTIP geht es auch hier um Grundlagen. Bevor wir uns genauer anschauen, was an TTIP gut und was daran gefährlich ist, müssen wir einige Grundlagen über Handelsliberalisierung kennen. Diesmal geht es um die Frage, welche Folgen eine Liberalisierung des Handels hat.

Die Vorteile des internationalen Handels werden immer mit den komparativen Kostenvorteil erklärt, wie in meinem ersten Artikel vorgestellt. Der Nobelpreisträger Paul Samuelson bezeichnete diese Idee als “the most beautiful idea of economics”. Wer die Grundannahme einmal verstanden hat, wird das sicherlich ähnlich sehen.

Die Standardtheorie postuliert, dass jedes Land in bestimmten Bereichen einen komparativen Kostenvorteil hat; es kann gewisse Güter kosteneffizienter und besser als andere Länder herstellen. Ein solches Land wird diese Güter exportieren und andere, in denen es keinen solchen Vorteil hat, importieren. Am Ende sorgt der Handel dafür, dass jedes Land profitiert.

Obwohl sich die Wirtschaft und damit auch der Handel in den letzten 200 Jahren enorm verändert haben, halten Ökonomen an diesem Modell fest. Im Zuge der TTIP-Verhandlungen werde ich von Kritikern immer wieder gefragt, worin den der Vorteil eines solchen Freihandelsabkommens liegt?! Das werden wir uns in einem späteren Beitrag genauer anschauen. Hier schauen wird uns zunächst an, welche Vorteile Handelsliberalisierung bzw. Freihandel generell bieten. Hier gibt es nämlich viele Missverständnisse.

1.

Freihandel kann, muss aber nicht zu mehr Arbeitsplätzen führen

Derzeit dreht sich die TTIP-Debatte viel um die Frage, ob Deutschland bzw. Europa mehr Arbeitsplätze gewinnen wird. Die EU-Kommission bezieht sich auf Studien, die genau das prognostizieren. Das Gleiche behauptet das Wirtschaftsministerium. Die Studien sind allerdings sehr umstritten. Davon abgesehen, ob die Studien nun Recht haben oder nicht, ist die Debatte ein wenig irregeleitet, denn der Vorteil vom Handel liegt nicht primär in der Schaffung von Arbeitsplätzen.

Hier muss man eher sagen, dass im besten Fall einige wenige Stellen neu geschaffen werden, im Regelfall die Beschäftigungsrate gleich bleibt und im schlimmsten Fall Arbeitsplätze verloren gehen. Meistens tritt eine Mischung aus allen Fällen ein, weil Handel verschiedene Sektoren betrifft. Bestimmte Sektoren geraten unter Druck und müssen vielleicht Arbeitsplätze abbauen, andere Sektoren gewinnen und schaffen neue Arbeitsstellen.

Das Problem rund um die Schaffung von Arbeitsplätzen im Zusammenhang mit Handel liegt aber woanders. Wann führt eine Handelsliberalisierung zu mehr Arbeitsplätzen? Wenn ein Land anschließend mehr exportiert. Das ist der Wunsch aller Länder. Export führt dazu, dass die heimische Wirtschaft mehr Produkte im Ausland verkauft und folglich mehr Geld in die Wirtschaft fliesst. Daraufhin könnten neue Arbeitsplätze entstehen.

Das Problem ist, dass irgendjemand nun mehr importieren muss; gewöhnlich der Handelspartner. Import führt dazu, dass die Verbraucher weniger Geld für ausländische Produkte zahlen und deshalb die heimischen meiden. Das führt in bestimmten Bereichen dazu, dass Unternehmen weniger Geld verdienen und unter Umständen Arbeitsplätze abbauen.

Politiker behaupten deshalb gerne, dass ein Freihandelsabkommen zu mehr Exporten führen wird und folglich zu mehr Jobs. Sie verschweigen uns, dass irgendjemand dafür zahlen muss. In der Standardtheorie des Handels, sind Exporte nur dazu da, um für Importe zu zahlen. Eine ausgeglichene Handelsbilanz ist wünschenswert. Ein Handelsbilanzüberschuss ist auf Dauer nicht gut, weil das Exportland sehr abhängig von der wirtschaftspolitischen Lage seiner Handelspartner wird. Ein Handelsbilanzdefizit hingegen führt dazu, dass die nationale Wirtschaft leidet.

Insofern geht es beim Freihandel nicht primär um die Schaffung von Arbeitsstellen bzw. das heilt nicht die Probleme, die ein Land intern hat. Länder versuchen aber immer wieder durch die Ausweitung des Handels Ihren Export zu steigern. Handelspartner, die auf Dauer einen Defizit verzeichnen, rächen sich früher oder später. Derzeit haben die USA einen Handelsbilanzdefizit mit Europa und insbesondere mit Deutschland. Aus ökonomischer Sicht ist dieser Defizit auf eine zu geringe Sparrate der Amerikaner zurückzuführen. Amerika behauptet allerdings, dass es an der unfairen Handelspraktik der Europäer liegt. Deutschland weist hingegen seit Jahren einen Überschuss auf, was der deutschen Wirtschaft gut tut, aber die Handelspartner besorgt. Auf Dauer wird sich das rächen.

Wenn wir also über das Verhältnis zwischen Handelsliberalisierung und Arbeitsplätze sprechen, dann gibt es natürlich immer Gewinner und Verlierer. Der Fokus sollte aber nicht nur auf Arbeitsplätzen liegen. Das kann ein Vorteil sein, aber Handel bietet noch mehr, wie wir gleich sehen werden. Gewöhnlich sind die Gewinne aber höher als die Verluste.

2.

Freihandel führt zu mehr Wettbewerb, was die Effizienz der Wirtschaft steigert und die Macht von Produzenten verringert

Handelsliberalisierung führt definitiv zu mehr Wettbewerb in der heimischen Wirtschaft, was den Vorteil hat, dass unwirtschaftliche Bereiche entweder verschwinden - und damit natürlich auch Arbeitsplätze - oder wieder wettbewerbsfähig werden. In Deutschland ist man auf diesen Begriff nicht gut zu sprechen, weil man damit immer den Verlust von Arbeitsplätzen assoziiert. Ich denke da gerade an Karstadt. Aber unwirtschaftliche Bereiche kosten den Steuerzahler sehr viel Geld, wenn sie künstlich am Leben erhalten werden. Und die Menschen, die mit Karstadt viel Mitgefühl haben, sind paradoxerweise auch die Menschen, die aus irgendeinen Grund aufgehört haben, in Karstadt einzukaufen. Ich vermute, es hat etwas mit Preisen und Sortiment zu tun.

Natürlich akzeptieren die meisten Deutschen die Annahme, dass ein gewisser Wettbewerb der Wirtschaft und Gesellschaft zugute kommt. Ohne Wettbewerb wäre unsere Wirtschaft kaum so stark. Und wer das bestreitet, muss sich nur Sektoren und Wirtschaftsmodelle anschauen, die nicht auf Wettbewerb bauen. Die sozialistische Planwirtschaft war so ein Modell. Wettbewerb war quasi nicht vorhanden, leider auch kaum Güter und Produkte, die den Fall der Mauer überlebten. Insofern akzeptieren auch die größten Kritiker, dass Wettbewerb gut sein kann.

Bei der Debatte um Handel und Wettbewerb dreht sich heute aber vieles um die Frage, ob der Wettbewerbsvorteil unser Konkurrenten fair ist. Es geht also um eine Gerechtigkeitsfrage. Allerdings sieht man hier sehr schnell, dass Fairness davon abhängt, auf welcher Seite man steht. Fair aus Sicht der Europäer ist nicht unbedingt fair aus Sicht der Amerikaner und vice versa. Es lohnt also immer auch die andere Seite anzuschauen.

Einer der größten Kritikpunkte an TTIP lautet, dass es nur großen Konzernen nutzt. Bürger haben nichts davon. Auf europäischer Seite heißt es genauer, dass dieses Abkommen nur amerikanischen Konzernen hilft. Auf der anderen Seite des Atlantiks behaupten die Kritiker, dass es europäischen Konzernen nutzt. Man sieht hier den Konflikt. Wahrscheinlich wird es beiden Seiten nutzen, nur eben in unterschiedlichen Bereichen.

Zunächst muss man sagen, dass der Freihandel gewöhnlich gut geeignet ist, Monopole zu schwächen. Warum? Nehmen wir den Fall an, dass Deutschland vom Handel abgeschottet ist und ein Riesenkonzern besonders mächtig wird. Wenn dieser Konzern keine Konkurrenten hat, dann kann er im Inland seine Macht missbrauchen. Am deutlichsten sichtbar an hohen Preisen für seine Waren. Aber auch weil es die Regierung dazu bringen kann, Gesetze zu erlassen, die vielleicht Umweltstandards lockern oder zu mehr Subventionen führen.

Wie könnte Deutschland die Marktmacht dieses Konzerns schwächen?! Indem es die Handelsbarrieren senkt und erlaubt, dass ausländische Unternehmen mit unserem Konzern konkurrieren. Sobald Konkurrenz hinzutritt, wird unser Konzern geschwächt, sofern es natürlich in der Welt Unternehmen gibt, die gleiche Waren oder Dienstleitungen anbieten. Wenn es keine Konkurrenten gibt, dann entstehen Monopole. Monopole sind deshalb so gefährlich.

Insofern ist der Freihandel ganz gut geeignet, um Konzerne zu schwächen. Zumindest in der Theorie. In der Praxis versuchen Konzerne Politiker so zu beeinflussen, dass die sich dafür einsetzten, dass andere Länder den Markt für deutsche Produkte öffnen, während der eigene Zugang versperrt bleibt. Hier ist die Politik sehr verwundbar.

Das Problem in vielen Freihandelsabkommen liegt darin, dass es nicht wirklich um Freiheit geht, sondern um Beschränkung mit anderen Mitteln. Der Freihandel mag keine Monopole und wurde gerade erdacht, um die endlich zu brechen. Adam Smith und David Ricardo kritisierten gerade die monopolartigen Auswüchse des Merkantilismus. Im Merkantilismus ging es jedem Land darum, seine Unternehmen noch stärker zu machen. Und bis heute versuchen Regierungen dieser Ethik zu folgen.

Im TTIP-Abkommen vermuten viele Kritiker, dass Konzerne fordern werden, dass Länder Ihre Sozial- bzw. Umweltstandards lockern sollen, um Investitionen zu befeuern. Auch das ist nicht im Sinne des Freihandels. Gesellschaften sollen Ihre Standards haben und wenn es um Harmonisierung von Regulierungen geht, dann wäre es durchaus möglich, dass sich Europa und USA darauf einigen die Standards anzugleichen und zwar auf einem sehr hohen Niveau. Die Kritiker vermuten aber, dass die Standards auf einem sehr niedrigen Niveau angeglichen werden, was natürlich ein Rückschritt wäre.

Hier gibt es also Gefahren. Das liegt aber nicht unbedingt am Freihandel, sondern an dem was Politiker aushandeln. Die Kritiker übersehen einfach, dass es auf beiden Seiten des Atlantiks Konzerne gibt, die sehr mächtig sind. Und wenn wir den Handel nicht liberalisieren, dann bleibt die Macht unser Konzerne unangetastet. Sie können dann ihr Monopol noch mehr ausbauen.

Ein Beispiel soll das verdeutlichen. In Europa arbeitet nur ein winziger Teil der Bevölkerung im Agrarsektor, aber 39 % des ganzen EU-Budget wandert in diesen Bereich. Vor geraumer Zeit lag diese Zahl noch bei 70 %. Der Agrarsektor hat einen Monopol auf den EU-Haushalt und dieser Sektor weigert sich vehement gegen eine Handelsliberalisierung. Hier haben wir tatsächlich monopolartige Auswüchse. Diesem Bereich würde eine Liberalisierung sehr gut tun und ein Großteil der EU-Ausgaben könnte in Bereiche wie Bildung und Sozialausgaben wandern. Vielleicht könnte die EU damit die ganzen Ausgaben auch einfach reduzieren, so dass Mitgliedsländer letztlich weniger in die EU zahlen müssten. Genau das fordern viele Bürger heute. Das TTIP Abkommen könnte der EU dabei helfen, diesen Sektor ein wenig zu schwächen. Tatsächlich konnten die EU-Ausgaben von 70% auf 39% nur mithilfe der Verhandlungen im Rahmen der Welthandelsorganisation verringert werden. Die EU-Agrarpolitik ist dort nämlich ein Dauerthema.

Man sieht also, dass Konzerne manchmal noch stärker werden, weil sie vor einer Handelsliberalisierung geschützt werden. Auch ich betrachte Konzerne recht skeptisch. Die Frage ist nur, wie man sie schwächen kann. Aus ökonomischer Sicht oftmals durch den Freihandel, es sei denn es handelt sich um Konzerne, der weltweit ungeschlagen sind. Deshalb sind auch die Pharma-, Agrarindustrie und Riesen wie Google so verhasst. Hier gibt es nicht viel Konkurrenz weltweit. Und in solchen Fällen muss dann der Gesetzgeber einschreiten, damit diese Riesen Ihre Marktmacht nicht missbrauchen.

3.

Freihandel führt zu sinkenden Preisen und mehr Produktvielfalt

Die größten Vorteile einer Handelsliberalisierung liegen in sinkenden Preisen und steigender Produktvielfalt. An diesem Punkt entgegen mir viele Kritiker, dass man doch nichts von dieser Produktvielfalt und den günstigen Preisen hat, wenn der Job weg ist. Das mag auf den ersten Blick stimmen, ist aber bei einer genaueren Betrachtung schlicht falsch. Hier reicht es einfach in die Geschichtsbücher zu schauen. Was konnte sich die ärmste Person vor 100 Jahren in Deutschland kaufen? Und was kann diese Person heute erwerben? Dieser Unterschied ist nicht von der Hand zu weisen. Heute können selbst arme Menschen in den Vorzug verschiedener Güter kommen, von denen sie vor 100 Jahren nur träumen konnten. Das liegt zum großen Teil am internationalen Handel. Hier muss man sich nur anschauen, woran ein Land erkennt, dass es einen komparativen Kostenvorteil hat; nämlich an Preisen.

Was kostet ein Laptop im Inland verglichen mit Preisen auf dem Weltmarkt? Wenn es im Inland günstiger ist als auf dem Weltmarkt, dann hat dieses Land einen komparativen Kostenvorteil. Es wird zum Exporteur. Hiervon profitieren die Produzenten, während die Verbraucher die Öffnung des Marktes wenig spüren werden. Sie zahlen bereits den besten Preis für Laptops. Gegebenenfalls werden sie es auf Umwegen bemerken. Wenn die Produzenten nämlich mehr Absatz haben, expandieren sie und stellen vielleicht mehr Arbeitskräfte an. In diesem Vorteil liegt begründet, warum beinahe alle Länder den Export als vorteilhafter betrachten. Es nützt den heimischen Firmen. Doch es ist nicht immer gesichert, dass solche Firmen expandieren. So das Verbraucher gegebenenfalls nichts davon haben.

Wenn hingegen die Preise für Laptops auf dem Weltmarkt niedriger sind als im Inland, dann verkehrt sich das ganze. Die Produzenten geraten in Probleme, während sich die Verbraucher an günstigen Preisen erfreuen. Wenn ein Verbraucher die Wahl hat, den Laptop von einem ausländischen Anbieter für die Hälfte zu kaufen, dann profitiert er davon. Er hat nun mehr Geld zur Verfügung für andere Güter. Der Produzent hingegen wird entweder die Preise für seine Laptops senken müssen oder langfristig untergehen. Das bleibt in der Gesellschaft nicht unbemerkt und obwohl ich gerne weniger zahle, so tut es mir doch leid, wenn Menschen Ihren Arbeitsplatz verlieren. Deshalb empfinden die meisten Menschen den Handel als gefährlich. Sie gehen nicht auf die Straßen, wenn die Preise fallen, sie gehen auf die Straße, wenn Menschen ihre Arbeit verlieren. Der Wall Street Journal hat es einmal schön auf dem Punkt gebracht:

“The first rule of trade agreements is that the benefits are widely dispersed, the costs are very concentrated, and the loser are very vocal.”

Tatsache ist, dass der Handel gerade in den letzten 100 Jahren dazu geführt hat, dass die Preise für Produkte stark gesunken sind. Länder, die sich dem Handel verschliessen - wie viele Entwicklungsländer - können das bestätigen. Dort zahlt man nämlich für alles viel mehr Geld. Nun stellt sich die Frage, was besser ist: ein Job zu haben, aber kaum Güter, die man sich leisten kann oder keinen Job und günstige Preise? Im Regelfall beides schlechte Alternativen. Deshalb sagt der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, dass ein Land ein soziales Absicherungssystem benötigt, bevor es den Handel liberalisiert. Die Verlier sollen aufgefangen werden. Das ist in Europa und den USA durchaus gegeben.

Davon abgesehen bietet der Handel nicht nur diese beiden Alternativen. Absolut profitieren alle, relativ verlieren bestimmte Gruppen. Aus ökonomischer Sicht sind die absoluten Gewinne wichtiger, aus gesellschaftlicher Sicht sind die relativen Verluste entscheidender. Jede Gesellschaft hätte letztlich gerne günstige Preise, ein großes Sortiment und Vollzeitbeschäftigung. Alles kann man nicht haben. Zwei volkswirtschaftliche Regeln sollen das verdeutlichen.

Regel Nummer 1: 

Alle Menschen stehen vor abzuwägenden Alternativen

In unserem Fall: Freihandel, günstige Preise und mehr Wettbewerb oder Protektionismus, höhere Preise und Firmen, die wenig Anreiz haben, besser zu werden?

Regel Nummer 2: Die Kosten eines Guts bestehen aus dem, was man für den Erwerb eines Guts aufgibt.

In unserem Fall: Ich kann nicht alles haben.

4.

Handel führt zum Ideenfluss und hilft Gesellschaften neue Technologien zu implementieren

Der internationale Handel besteht heute nicht mehr nur aus dem Verkauf von Gütern, die im Inland hergestellt wurden. Sowohl Europa als auch die USA produzieren Ihre Waren im Ausland. VW hat Tochtergesellschaften in den USA und Microsoft agiert auch in Europa. Es geht heute zunehmend um Dienstleistungen, interindustriellen Handel und Direktinvestitionen. Der strittige TTIP Aspekt rund um die Schiedsgerichte betrifft gerade die Direktinvestitionen. Das werden wir uns aber später genauer anschauen, hier soll es um einen positiven Effekt von internationalen Handel gehen.

Konzerne sind gerade durch Direktinvestitionen in die Kritik geraten. Das Prinzip war denkbar einfach: Wenn eine Firma mehr Gewinne machen möchte, dann verlagert sie ihre Produktionsstätten in Länder, die geringere Lohnkosten haben. Aus Sicht der Heimat eine furchtbare Logik. Ich erinnere mich an die Proteste gegen Nokia, als bekannt wurde, dass es in ein anderes Land abwandern wird und viele Menschen arbeitslos werden.

Mittlerweile hat sich die Kritik ein wenig gelegt, weil sich einfach gezeigt hat, dass die Kritiker falsch lagen. Man nahm an, dass nun alle Firmen abwandern werden und letztlich keine Jobs übrig bleiben. Das ist nicht eingetreten. Die Wirtschaft hat sich einfach verändert. In Industrieländer benötigt man heute hochqualifizierte Arbeiter, während die Herstellung getrost in Entwicklungsländer verlagert werden kann. Das führt wiederum dazu, dass diese Länder neue Technologien und Produktionsweisen kennenlernen und sich dadurch selbst entwickeln.

Genau das kann man heute in China beobachten. Es ist immer noch ein Land für die Herstellung von Gütern, aber es tauchen zunehmend auch Firmen auf, die das Gelernte kopieren und Ihre eigenen Firmen gründen. Dieser Ideenfluss ist also sehr gut.

Doch auch Länder, die keine Direktinvestitionen anziehen, profitieren von Handel und vom Wissenstransfer. Wenn eine bestimmte Technologie bereits entwickelt wurde, die ein Problem gut löst, dann ist es schier unsinnig darauf zu bestehen, die Technologie selbst zu entwickeln. Besser ist es, die Technik einfach zu kaufen. Wozu sollte Deutschland heute viel Zeit auf die Produktion von Laptops verwenden?! Es gibt schon gute Laptops.

5.

Handel hat eine friedensstiftende Wirkung

Aus politikwissenschaftlicher Sicht bleibt noch ein Argument für den Freihandel: er macht die Welt friedlicher. Das Argument wollen heute viele Kritiker nicht hören. Der letzte große Krieg in Europa liegt schon weit zurück. Allen voran glauben die meisten Menschen, dass unsere Welt immer gewalttätiger wird. Die friedliche Wirkung von Handel scheint ein Mythos zu sein. Viele Globalisierungsgegner werden mir sofort Beispiele aufzählen, wie Konzerne Menschenleben zerstören und wie aggressiv der Kapitalismus ist.

Ich will solche Beispiele gar nicht abstreiten, aber nimmt die Gewalt tatsächlich zu? War die Welt vor der Ära des Freihandels friedlicher als heute? Das sind die Fragen, die mich interessieren und hier sind die Fakten offensichtlich. Die Welt war noch nie so friedlich wie heute und der internationale Handel hat mit dazu beigetragen. Sollte jemand daran zweifeln, dem empfehle ich meinen Artikel zu diesem Thema. Wer es wissenschaftlicher haben möchte, der geht am besten direkt zur Quelle, nämlich Steven Pinkers Standardwerk “Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit”. Das Werk beantwortet alle Fragen zu diesem Thema und liest sich wunderbar.

Ich möchte hier nur einige Anmerkungen machen zur Entwicklung der Idee, dass Handel friedensstiftend sein kann. Adam Smith und David Ricardo glaubten, dass eine Gesellschaft von Freihandel ökonomisch und moralisch profitieren könnten. Die ökonomischen Argumenten haben wir bereits kennen gelernt. Nun schauen wir uns an, wie es um den Frieden bestellt ist.

Was war vor der Idee des Freihandels? Ist der Handel etwas Neues? Nein. Gesellschaften haben schon immer Handel getrieben. Die Idee von der friedensstiftenden Wirkung des Handels ist sehr einfach: Kriege sind nicht gut fürs Geschäftemachen, ausser vielleicht für die Rüstungsindustrie. Wobei selbst die Rüstungsindustrie besser in Friedenszeiten floriert, weil sie dann ihre Waffen ungehindert in alle Länder der Welt verkaufen kann. Ein Krieg, insbesondere ein großer, stört diesen Fluss.

Handel ebenso wie Krieg gehört zur Geschichte der Menschheit. Wieso reden wir also jetzt erst von der friedensstiftenden Wirkung des Handels? Ganz einfach: vor der liberalen Theorie des Handels und des komparativen Kostenvorteils hatte Handel eine ganz andere Funktion.

David Ricardo und Adam Smith gelten als die modernen Vordenker der Freihandelsideologie. Sie schrieben Ihre Werke in einer Zeit des Merkantilismus. Der Merkantilismus hatte zum Ziel, die heimische Wirtschaft stark zu machen. Welche Bereiche stark sein sollten, entschieden die Machthaber. Ziel war es, dem Staat stetig wachsende Einnahmen zu sichern. Dazu eignete sich der Export besonders gut. Handel war auch im diesem Zeitalter vorhanden, allerdings ging es darum den Export zu fördern und den Import fast unmöglich zu machen. Hohe Zölle auf ausländische Produkte gehörten zu dieser Politik.

Export führt dazu, dass Geld in die heimische Wirtschaft fließt, Import hingegen, dass es in die Wirtschaft anderer Länder geht. Um ein starkes Militär aufzubauen, nutzen merkantilistische Staaten den Export, um Geld anzuhäufen. Aber diese Staaten verdienten auch am Import, indem sie auf ausländische Güter hohe Zölle verhängten. Ein Zoll funktioniert wie einer Steuersatz. Ein Importeur muss den Preis für ein ausländisches Produkt zahlen plus den Zollsatz. Die Einnahmen der Zölle gehen an den Staat, der tatsächliche Preis an den ausländischen Anbieter.

Wenn jedes Land so agiert, dann hat keiner etwas davon. Ein Land kann nur exportieren, wenn es Länder gibt, die importieren. Im Merkantilismus wurden andere Länder nicht selten durch Gewalt zum Abbau von Handelsbarrieren gezwungen. Der Geldüberfluss aus dem Export und den Zöllen wurde dazu genutzt den Staat und das Militär auszubauen. Ein starkes Militär sicherte, dass noch mehr Länder zum Abbau der Handelsbarrieren gezwungen werden konnten.

Smith und Ricardo erkannten wie aggressiv diese Politik war. Ihre Neuerung bestand darin, dass sie erstmals zeigten, dass ein Land gerade auch vom Import profitiert. Export nutzt im Regelfall den Produzenten und dem Staat, der Import hingegen nutzt den Bürgern. Wenn Staaten sich also dem Freihandel verschreiben, haben sie weniger Anreize mit anderen Staaten in den Krieg zu ziehen. Solange Staaten nur exportierten, konnten sie problemlos Kriege führen. Es gehörte sogar zur Politik, weil nur durch Gewalt andere Ihre Handelsbarrieren öffneten, ohne selbst exportieren zu können.

Beim Handel geht es immer um Reziprozität: Ich gebe dir etwas und du gibst mir etwas. Im Merkantilismus war die Logik anders: du gibst mir etwas, ansonsten zwinge ich dich dazu.

Der internationale Handel entfaltete nicht grundlos erst im 20. Jahrhundert seine friedensstiftende Wirkung. Erst in diesem Jahrhundert wurde der Handel enorm ausgeweitet und sicherte, dass mehr Gesellschaften die Früchte kennen lernten. Auch die Verluste wurden gleichmäßiger verteilt. Deshalb können wir erst heute genauer sehen, wie sehr der Handel zum Frieden beiträgt. Was nicht bedeutet, dass Frieden für alle Zeiten gesichert ist, oder dass der Handel die einzige Rolle in diesem Prozess spielt. Aber zumindest kann dieser Fakt nicht geleugnet werden.

Im nächsten Beitrag schauen wir uns an, wann trotzdem eine Abschottung vom Handel sinnvoll sein kann.