In den letzten Jahren geriet der internationale Handel zunehmend unter Druck. Viele Menschen lehnen eine Ausweitung des Handels ab, weil sie darin unter anderem eine Gefahr für Umweltstandards sehen.

In ökonomischen Büchern findet man wenig zu diesem Thema. Solch ein Argument gehört gewöhnlich nicht zu einem validen Grund, um den Handel zu beschränken. In diesem Artikel möchte ich deshalb beleuchten, ob der internationale Handel eine negative Auswirkung auf Umweltstandards hat. Und wie wirkt sich TTIP auf unsere Umweltstandards aus?

Sollte man den Handel mit Ländern beschränken, die Umweltstandards ignorieren?

1991 fiel ein Urteil, das amerikanische Umweltaktivisten in Rage brachte. Das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT - general agreement on trade and tariffs), der Vorläufer der Welthandelsorganisation, entschied, dass Amerika zu Unrecht den Handel mit Ländern beschränkt, die beim Thunfischfang auch Delphine töten.

Ein Jahr zuvor verschärfte die amerikanische Regierung die Auflagen für die eigenen Fischer. Thunfische schwimmen oftmals unterhalb von Delphinen und beim Fang wurden lange Zeit Netze benutzt, die eben auch diese Delphine umbrachten. Damit sollte Schluss sein. Amerikanische Fischer durften nur noch Netze einsetzen, die kaum Delphine verletzen. Diese Investitionen waren kostspielig und Amerikaner wollten zeitgleich den Handel mit Ländern verbieten, die weiterhin Delphine töten. Jedes Land, das mehr Delphine tötete als die Amerikaner - 25 % um genau zu sein, durfte ab sofort kein Thunfisch in die USA exportieren.

Mexiko, Venezuela, Panama, Ecuador und Vanuatu waren von diesem Verbot betroffen. Mexiko reichte darauf hin eine Klage beim GATT ein und forderte eine erneute Öffnung des amerikanischen Marktes oder Kompensationen. Mexiko sah in dieser Politik puren Protektionismus und eine Diskriminierung. GATT sah das genauso und gab Mexiko Recht.

Wie begründete GATT diese Entscheidung? Generell war es möglich unter GATT, den Handel zu begrenzen. Aber in diesem Fall hätten die Amerikaner einen anderen Weg einschlagen sollen. Sie hätten beispielsweise zunächst mit den betroffenen Ländern verhandeln können, wie man Delphine schützen kann. Gleichzeitig war die Messlatte von 25 % intransparent; wie hätte Mexiko berechnen sollen, wann sie diese Grenze überschritten haben? Zuletzt machte GATT die Amerikaner darauf aufmerksam, dass sie Ihre Handelspolitik nicht einsetzen dürfen, um anderen ihre Umweltstandards aufzuoktroyieren.

Für Umweltaktivisten war dieses Urteil eine Farce, die verdeutlichte, was am internationalen Handelsregime alles schlecht war. Bevor wir hier weiter diskutieren, muss man wissen, dass dieses Urteil nie in Kraft getreten ist. Unter GATT musste nur ein Land gegen ein Urteil sein, um es unwirksam zu machen. Das beklagte Land hat natürlich immer dagegen gestimmt. Die Amerikaner haben sich später aber mit Mexiko einvernehmlich geeinigt. Trotzdem hinterließ dieses Urteil einen Riss in dem sonst sehr erfolgreichen GATT-Regime.

Aus einer juristischen Perspektive hatte GATT Recht. Die Amerikaner hätten sich darum bemühen können, ein Abkommen mit den betroffenen Ländern zu schließen, um Delphine zu schützen. Stattdessen haben sie einfach den Handel unterbunden. Viele Umweltaktivisten haben dieses Urteil aber so ausgelegt, als würde ein Handelsregime den Schutz der Umwelt verbieten. Und wenn wir heute über TTIP diskutieren, dann finden wir die gleichen Sorgen.

Der Handel verbietet natürlich nicht den Umweltschutz und der Handel ist auch nicht verantwortlich für Umweltprobleme. Länder sind verantwortlich für Umweltprobleme und Länder sind verantwortlich, diese Probleme zu lösen. In vielen Bereichen können Umweltprobleme auch nicht anders gelöst werden. Der Klimaschutz ist hier eine Ausnahme, weil es wenig bringt, wenn Land A das Klima schützt, ohne das Land B bis Z mitziehen. Aber auch hier muss jedes Land letztlich den Beitrag leisten.

Aus diesem Grund lehnen viele Ökonomen ab, Umweltstandards in Handelsabkommen zu integrieren. War es nun Protektionismus, der Amerikaner verleitet hat, den Thunfischimport aus Mexiko zu verbieten oder tatsächlich die Sorge um Umweltstandards? Und wer soll das entscheiden? Mexiko? USA? Hier sehen wir, warum Schiedsgerichte eine immer größere Rolle spielen. Natürlich könnte man das in amerikanischen oder mexikanischen Gerichten ausfechten, aber sind die nationalen Gerichte wirklich unabhängig, wenn ihr eigenes Land auf der Anklagebank steht? Vielleicht?! Aber wirklich sicher kann man sich nicht sein.

Der wesentliche Punkt ist aber, dass Handelsabkommen heute überladen sind, mit Themen die sehr komplex sind und teilweise nichts mit Handel zu tun haben. Das sieht man eben an dem GATT-Urteil sehr gut. USA gehört zu einer entwickelten Wirtschaft und kann Geld aufbringen, um elaborierte Umweltstandards zu finanzieren. Mexiko eher nicht. Darf USA ihre hohen Standards zur Grunde legen, um den Handel mit Mexiko zu verbieten? Ein Umweltaktivist steht hier vor einem Konflikt. Er kann nicht ignorieren, dass Delphine sterben. Aber ist ein Handelsverbot die beste Lösung? Wäre eine Kennzeichnungspflicht nicht die bessere Herangehensweise?! Oder wie wäre es, Mexiko die Technologie zur Verfügung zu stellen, um Delphine zu schützen?! Umweltprobleme verschwinden nicht, nur weil wir sie ausserhalb unserer Grenzen halten.

Was hat das mit TTIP zu tun?

Nun habe ich ein sehr simples Beispiel gewählt, um zu zeigen, warum Umweltprobleme nicht mit Handelspolitik gelöst werden können. Aber heute können wir diese Themen nicht mehr so einfach gesondert betrachten.

Wenn es um TTIP geht, so stehen wir vor schwierigen Fragen. Es geht ja nicht einfach um den Abbau der Handelsschranken, es geht um eine Harmonisierung von Standards. Und hier gibt es durchaus Gefahren. Nehmen wir den Handel mit Chemikalien und Pestiziden. Beide Wirtschaftsblöcke haben ihren eigenen Umgang mit chemischen Erzeugnissen.

Amerikaner verbieten erst dann Produkte, wenn nachgewiesen wurde, dass sie gefährlich sind. Solange keine Studien vorliegen, die das beweisen, kann ein Produkte bzw. eine Chemikalie weiterhin auf dem Markt bleiben. Es ist ein klassisches Beispiel der Nachsorge, weil nicht der Erzeuger beweisen muss, dass ein Produkt gefährlich ist, sondern die Umweltbehörde.

Europäer lehnen dieses Prinzip ab. Hier muss der Erzeuger erst nachweisen, dass sein Produkt völlig unbedenklich ist, bevor er es verkaufen darf. Und die Vorgaben sind sehr hoch. Das Chemikaliengesetz REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) gehört zu solchen Vorgaben. Obwohl dieses Gesetz sehr viele Vorschriften enthält, die Chemiefirmen natürlich auch Geld kosten, wird dieses Gesetz als sehr vorbildlich betrachtet. Hier sprechen wir über ein Vorsorgeprinzip.

Man sieht auf Anhieb, dass die europäischen Vorgaben elaborierter sind. Wird TTIP diese Standards verwässern? Laut der Europäischen Kommission wird das nicht passieren. Hier werden sich die Amerikaner und Europäer nicht einigen können. Die EU-Kommission hat schon deutlich gemacht, dass beide Blöcke weiterhin ihre Standards behalten werden.

Kritiker sehen das anders. Sie befürchten, dass die gegenseitige Anerkennung dazu führen wird, dass Amerikaner Chemikalien nach Europa importieren können, ohne sich an die REACH Vorgaben zu halten. Ich habe mir die Argumentation der Kritiker angeschaut, finde sie aber unverständlich. Thilo Bode beharrt darauf, dass selbst wenn die EU-Standards nicht zur Debatte stehen, TTIP wie Weihnachten für die amerikanische Chemiebranche sein wird. Aber ich habe nicht verstanden, warum.

Eine gegenseitige Anerkennung bedeutet zunächst, dass wenn die Amerikaner Chemikalien in die EU exportieren möchten, sie sich eben an die REACH-Vorgaben halten müssen. Was soll Anerkennung sonst bedeuten? Umgekehrt müssen sich Europäer an die US-Vorgaben halten, die de facto sehr lasch sind. Wo hier die Gefahr lauert, wurde mir nicht deutlich. Das ist meine Interpretation der laufenden Verhandlungen und der Position der EU, wenn es um das Thema Chemikalien und Pestizide geht.

Wenn aber eine gegenseitige Anerkennung bedeutet, dass Amerika ihre Standards haben und nach Europa exportieren können, ohne sich an die europäischen Vorgaben halten zu müssen, dann bin ich natürlich gegen dieses Abkommen. Aber danach sieht es derzeit nicht aus. Die EU bekräftigt das ständig. In der Endfassung des Verhandlungstextes - sofern es überhaupt eine Endfassung geben wird - werden wir genau prüfen müssen, ob die Kommission uns belogen hat. Bis dahin glaube ich ihnen.

Dani Rodrik empfiehlt in seinem Buch “Das Globalisierung-Paradox” genau diesen Ansatz. Wenn Länder unterschiedliche Standards haben und eine Angleichung nicht möglich ist, dann akzeptiert man eben das. Ein Exporteur muss dann weiterhin die Vorgaben erfüllen, die das Importland vorgibt. Und ich sehe hier kein trojanisches Pferd, dass Standards unterminiert. Aber ich lasse mich gerne belehren.

Update vom 19.06.2015: Umweltschutz und Schiedsgerichte - ein persönliches Statement

Ein Leser hat mich belehrt und mir einen Fall genannt, der bei TTIP eine Gefahr ist. Das Argument ist mir nicht neu und auch Thilo Bode und Franz Kotteder malen dieses Szenario immer wieder an die Wand. Nehmen wir an, dass ein amerikanisches Chemieunternehmen eine Fabrik in Europa baut und hier ihre Chemikalien produziert. Nun beschliesst die EU ein neues Umweltgesetz, weil sie bestimmte Gefahren erkannt haben, die sie nun mindern wollen. Dieses Gesetz führt dazu, dass dieses Unternehmen viel Geld in neue Produktionsanlagen investieren muss oder einfach dicht machen kann, weil sich das Geschäft nicht mehr lohnt.

Was tut ein solches Unternehmen? Es verklagt das Land oder die EU in einem Schiedsgericht und fordert Kompensationen in Millionenhöhe. Dieses Argument hören wir derzeit überall. Und es gibt diese Fälle, wo ein Schiedsgericht einem Unternehmen etwas zuspricht, was dem normalen Bürger unverständlich sein muss. Das GATT-Urteil, mit dem ich diesen Artikel begonnen habe, ist so ein Schiedsspruch. Einen sensationelleren Fall finden wir in Rumänien, wo zwei Brüder in eine Abfüllanlage investierten und eine zeitlang Subventionen erhielten. Mit dem Eintritt Rumäniens in die EU mussten diese Subventionen gestoppt werden und die Brüder verklagten das Land auf Schadenersatz. Sie erhielt von ICSID Recht und Rumänien muss nun 250 Millionen Euro an sie zahlen. Noch spektakulärer sind die Klagen von Phillip Morris gegen Uruguay und Australien wegen verschärfter Antirauchergesetze.

Ich habe noch nichts zu diesen Schiedsgerichten geschrieben, weil ich noch zu wenig darüber weiß. Ich kenne die Argumente der Kritiker, aber das reicht mir nicht, um abschliessend zu bewerten, was an Schiedsgerichten so gefährlich ist. Derzeit habe ich mir Bücher und Fachartikel besorgt, von denen ich mir mehr Klarheit erhoffe. Ich sehe die Gefahr in den wenigen Beispielen, die ich gerade angeführt habe. Trotzdem halte ich mich mit einem abschließenden Urteil zurück.

Ich möchte kurz erklären warum. Ich kenne mich recht gut mit dem multilateralen Handelssystem aus. GATT war beispielsweise ein großer Erfolg, wenn es um den Abbau der Zölle geht. Doch Mitte der 1980er Jahre reichte GATT nicht mehr aus, um den neuen Protektionismus in Form von nichttariffären Handelshemmnissen zu bändigen. Ein Problem war eben, was ein Land tun kann, wenn der Handelspartner Standards dazu nutzt, um die Importe zu begrenzen. Gewöhnlich zeichnet ein Land ein solches Gesetz nicht mit dem Etikett "Protektionismus" aus. Der USA-Mexiko Fall ist so ein Beispiel. Unter GATT konnte ein Land zwar klagen, aber wenn das beklagte Land die Klage ablehnte, wurde das Urteil nichtig.

In der Uruguay-Runde, die in der Etablierung der Welthandelsorganisation (WTO) mündete, ging es deshalb auch darum, wie man dieses Klagerechts verstärken kann. Die Staaten haben daraufhin das Streitschlichtungsverfahren (defacto ein Schiedsgericht) in die WTO integriert. Nun reicht es nicht aus, dass ein beklagtes Land den Schiedsspruch ablehnt, um es unwirksam zu machen. Ob dieses Schlichtungsverfahren eine gute Idee ist, darüber kann man streiten. Es war aber ein Wunsch der Staaten, weil es eben doch die Fälle gibt, wo schwer entschieden werden kann, ob dieses Gesetz gegen den Handelspartner gerichtet ist oder um ein wünschenswerten Standard zu etablieren. Wer soll das entscheiden? Das beklagte Land?!

Damit schließe ich nicht aus, dass Investoren solche Schiedsgerichte für ihre Konzerninteressen missbrauchen. Ich schließe auch nicht aus, dass solche Gerichte undemokratisch und verfassungswidrig sind. Aber hier brauche ich mehr Informationen, die ein wenig neutraler sind. Derzeit ist eine neutrale Diskussion darüber kaum möglich. Vielleicht ist sie auch gar nicht möglich. Doch ich suche immer auch nach Argumenten der Gegenseite. Und nach derzeitiger Kenntnislage gibt es auch zu diesem Thema Befürworter mit guten Argumenten. Die Artikel liegen schon auf meinem Tisch. Sobald ich die ausgewertet habe, werde ich eine ganze Artikelreihe dazu schreiben. Ich sage noch einmal: mir geht es um neutralere Argumente.