Im letzten Artikel stellte ich euch fünf positive Effekte des Freihandels vor. Allerdings gab es in der Weltgeschichte nie eine Zeit, die komplett auf Freihandel setzte. Der Protektionismus, also die Abschottung vom Handel, war immer eine starke Kraft und ist es auch heute noch. Wo es positive Effekte gibt, da finden sich auch immer Schattenseite und die wollen wir uns in den kommenden Beiträgen anschauen. Wir lassen uns von der Frage leiten, was für die Beschränkung des Handels spricht.

In der Wissenschaft werden sechs Argumente diskutiert, die eine Handelsbeschränkungen rechtfertigen.

1. Verlust von Jobs

2. Sicherheitsbedenken

3. Schutz der Wirtschaft vor Konkurrenz

4. Unfairer Wettbewerb

5. Verhandlungsvorteil

6. Umweltstandards

Nicht alle sind überzeugend, wie wir noch sehen werden, aber bis heute berufen sich Freihandelsgegner auf einen dieser sechs Argumente. Heute schauen wir uns das erste Argument an.

Grund 1 gegen Freihandel // Verlust von Arbeitsplätzen

Gegner führen immer wieder an, dass die Liberalisierung des Handels Arbeitsplätze zerstört. Und sie haben teilweise Recht.

Wie wirkt sich die Öffnung für den Handel auf deutsche Arbeitsplätze aus?

Nehmen wir an, Deutschland würde heute Jeans der Marke EXTRASUPER produzieren und verkaufen. Die deutschen Firmen verlangen 100 € pro Jeans. Die Marke ist beliebt und wird gerne gekauft. Nun stellt auch China diese Jeans her, allerdings um einiges billiger. China fordert nur 50 € für die gleiche Jeans. Solange Deutschland Zölle auf die chinesische Einfuhr verhängt - sagen wir 100 % Zoll - braucht die deutsche Wirtschaft nichts zu fürchten. Auf dem deutschen Markt kosten die Jeans dann jeweils 100 €.  

Die Chinesen werden wahrscheinlich den deutschen Markt meiden, weil hier zulande kein Anreiz besteht, die chinesischen Jeans zu kaufen. Ein deutscher Bürger zahlt immer den gleichen Preis, egal ob die Jeans aus Deutschland oder China kommt. Sollte er sich für die chinesischen Jeans entscheiden, dann zahlt er nur an zwei Quellen: 50 € gehen an den chinesischen Anbieter und 50 € (100 % Zoll) an den deutschen Staat. Zölle funktionieren also wie Steuern. Der Verbraucher wird zur Kasse gebeten. Kauft er die Jeans aus deutscher Produktion, geht der ganze Betrag an das Unternehmen.

Nun entscheidet die Politik, dass der Handel mit China gelockert werden soll. Die Zölle fallen von 100 % auf 5 %. Was passiert? Die deutschen Jeans kosten noch immer 100 €, während die chinesischen auf 52,50 € (50 + 5 % Zoll) fallen. Der Deutsche wird wahrscheinlich die billigeren Jeans kaufen, sofern es die gleiche Marke ist. Die deutschen Jeansproduzenten geraten unter Druck und müssen daraufhin die Preise senken, ansonsten verkaufen sie nichts mehr.

Dadurch sinken die Einnahmen, während die Produktions- und Lohnkosten gleich bleiben. Die Jeansproduzenten müssen also Arbeitskräfte entlassen. Mit weniger Arbeitskräften kann weniger produziert werden, wodurch die Nachfrage noch weniger bedient werden kann. Die Einnahmen sinken weiter, bis schließlich die deutsche Jeansproduktion eingestellt werden muss.

Irgendjemand profitiert immer vom Abbau der Zölle - strittig ist nur wer

Dieses beispielhafte Szenario gibt den Kritikern des Freihandels zunächst Recht. Als die Debatte um Globalisierung in den 90igern losbrach, war es das Horrorszenario aller Freihandelsgegner. Man nahm an, dass mehr oder minder alles in Entwicklungsländern billiger produziert werden kann. Folglich glaubten die Kritiker, dass alle Firmen Ihre Produktionsstätten in Niedriglohnländer verlagern werden und bald alle Menschen in Industrieländern arbeitslos sind.

Heute haben sich die Köpfe etwas abgekühlt, weil dieses Szenario nicht eingetreten ist. Industrieländer haben tatsächlich Arbeitsplätze verloren, aber wir sind nicht arbeitslos geworden.

Zunächst muss man sagen, dass der deutsche Verbraucher profitiert hat, weil er nun weniger für Jeans zahlt. Genauso hat China davon profitiert, weil das Land mehr Jeans verkaufen kann. China kann nun die Produktion ausweiten, mehr Arbeitskräfte einstellen und gegeben falls auch die Löhne erhöhen. Wenn die deutsche Jeansproduktion eingestellt wurde, könnte China sogar die Preise leicht erhöhen und trotzdem Jeans absetzten. Für China also ein gutes Geschäft.

Und die Entwicklungspolitik würde diese Massnahme ebenfalls unterstützen. Aber deutsche Politiker können Ihren Bürgern nicht mit solchen Argumenten kommen. Wenn Arbeitsplätze verloren gehen, dann interessiert den deutschen Bürger keine Entwicklungspolitik.

Warum haben also deutsche Politiker die Zölle gesenkt? Ticken die nicht ganz richtig?! Ist das eine Strafmassnahme?

Gewöhnlich nicht.

Der Wirtschaftsminister hat wahrscheinlich mit Ökonomen und Vertretern der deutsche Wirtschaft gesprochen und sie folgendes gefragt:

Wie kann man der deutschen Wirtschaft helfen, mehr Absatz zu generieren, damit mehr Arbeitsplätze geschaffen werden?

Die Jeansproduzenten erzählten dem Minister, dass man unbedingt die Zölle auf chinesische Jeans erhöhen muss. Die Konkurrenz der Chinesen ist nämlich unfair. Das nahmen die Politiker zur Kenntnis, sahen aber, dass dadurch nicht unbedingt neue Arbeitsplätze entstehen, sondern nur bestehende erhalten bleiben.

Nun kamen Vertreter der Stahlindustrie und sagten, dass China einen großen Bedarf an Stahlprodukten hat. Die Chinesen schützen diesen Markt jedoch mit Zöllen auf deutsche Produkte - auch hier wieder 100 % Zoll. Wenn China diesen Zoll abbauen würde - sagen wir mal von 100 auf 20 % -, dann könnte die deutsche Industrie enorm profitieren und auch neue Stellen schaffen.

Nach diesen Befragungen muss der Minister entscheiden, was er tun soll. Er engagiert zunächst ein paar Ökonomen und lässt sie berechnen, wie hoch die Verluste für die Jeansproduzenten verglichen mit den Gewinnen für die Stahlindustrie wären. Wenn die Gewinne höher sind als die Verluste, dann spricht alles dafür, mit China zu verhandeln. Er arbeitet mit seinem Stab einen ersten Vorschlag aus und unterbreitet es dem chinesischen Handelsminister.

China überprüft nun, wie der Vorschlag die chinesische Wirtschaft beeinflussen wird. Auch hier werden hoffentlich Unternehmen befragt. Anschließend berechnen Ökonomen die Verluste und Gewinne des Vorschlags und geben dem Handelsminister einen Bericht. Wenn der Vorschlag gewinnbringend ist, dann bewegt sich China und Deutschland Richtung eines Abkommens. Wahrscheinlich haben die Chinesen aber etwas zu bemängeln und es wird weiter verhandelt. Jede Seite will mehr für sich herausschlagen. Nach einer langen Verhandlungsphase kommen beide überein und schließen ein Abkommen über die Liberalisierung des Handels.

Die Stahlindustrie freut sich, weil sie nun mehr Produkte nach China verkaufen kann. Die Einnahmen wachsen, die Produktion wird ausgeweitet, neue Mitarbeiter werden eingestellt und die Wirtschaft floriert. Die Jeansproduzenten protestieren zeitgleich auf den Straßen Deutschlands, weil sie ihre Jobs verlieren. Die Bürger freuen sich zwar über die günstigen Preise für Jeans, aber ärgern sich auch über deutsche Politiker, weil die dafür gesorgt haben, dass Arbeitsplätze verloren gegangen sind.

Warum werden deutsche Unternehmen so stark miteinbezogen?

Auch dieses Szenario können wir in der realen Welt beobachten. Die TTIP-Gegner kritisieren gerade, dass die Wirtschaft in die Verhandlungen eingebunden wird. Hier wird gerne vom Ausverkauf der Demokratie gesprochen. Die Kritik ist berechtigt. Allerdings muss zunächst gesagt werden, das Unternehmen am meisten von solchen Abkommen profitieren oder eben daran verlieren, so dass ihre Einbindung notwendig ist. Problematisch ist nur, wenn sonst niemand einbezogen wird. Wo sind die Interessen der Verbraucher, der Umweltaktivisten und Kulturbeauftragten?

Politiker wollen natürlich zunächst nur wissen, welche Forderungen sie stellen müssen, damit die deutsche Wirtschaft profitiert. Am Ende solcher Konsultationen berechnen sie die Nutzen und Kosten einer Liberalisierung. Das ist insofern verständlich. Das bedeutet aber nicht, dass Unternehmen die einzigen Konsultationspartner sein sollten. Gerade in heutigen Zeiten kann Politik Bürger- und Verbraucherinteressen nicht einfach ignorieren. Insofern ist der Widerstand der Bevölkerung notwendig und wesentlich. In einem der kommenden Artikel werde ich dieses Thema vertiefen. Hier geht es zunächst nur um die Auswirkungen auf Jobs.

Man sieht also, dass gewöhnlich nach dem Abbau von Handelsbarrieren Jobs wegfallen und neue entstehen. Wenn Politiker sehr klug verhandeln, dann kann es auch passieren, dass kaum Jobs wegfallen, aber viele neue entstehen. Das Problem ist, dass der Handelspartner dieses Ungleichgewicht wahrscheinlich bemerken wird und in kommenden Verhandlungen darauf besteht, nun ein größeres Stück vom Kuchen abzukriegen. Denn letztlich will kein Land Arbeitsplätze verlieren.

Hier liegt eine der Gefahren der TTIP Verhandlungen. Die USA haben seit langer Zeit eine negative Handelsbilanz, es importiert mehr als es exportiert. Es kann also erwartet werden, dass die USA von Europa und insbesondere von Deutschland fordern wird, diese negative Handelsbilanz umzukehren. Europa soll nun mehr importieren als es exportiert. Hier wird die merkantilistische Ethik sehr deutlich. In der Idee des Freihandels geht es um Ausgewogenheit; alle sollen profitieren. Exporte haben hier nur die Funktion, um für Importe zu zahlen. Ein Ungleichgewicht bei den Exporten oder Importen ist demnach nicht gut. In der merkantilistischen Ethik geht es wiederum darum, wie man die Exporte steigern und die Importe einschränken.

Die Ängste der Bürger sind verständlich

Den Handel zu beschränken, um Arbeitsplätze zu schützen, ist aus Sicht der Bürger durchaus verständlich. Allerdings sind die Ängste oft übertrieben, weil gewöhnlich auch neue Stellen entstehen, sofern die merkantilistische Ethik nicht überhand nimmt. Politiker neigen aber dazu, den Fokus zu stark auf Exporte zu legen, damit viele neue Stellen entstehen. Das muss dann natürlich der Handelspartner bezahlen, indem er mehr importiert. Der Freihandel entfaltet aber nur seine Wirkung, wenn es eine Ausgewogenheit bei den Exporten und Importen gibt. Jeder gewinnt etwas, jeder verliert etwas.

Damit die Liberalisierung nicht zu schmerzhaft wird, plädieren Ökonomen wie Joseph Stiglitz für einen Ausbau der sozialen Sicherungssysteme und vor allem intelligentere Bildungsprogramme. Menschen, die durch eine Liberalisierung arbeitslos werden, sollen aufgefangen werden, gegeben falls eine Umschulung erhalten, um bald wieder neue Arbeit zu finden. In der Praxis klappt das nicht so reibungslos. Menschen sind nicht so flexibel, vielleicht auch schon älter, so dass sie gar nicht mehr umgeschult werden können oder wollen.

Hier sieht man auch, warum gerade weniger gut ausgebildete Menschen zu den größten Verlieren in den letzten Jahren gehörten. In hochentwickelten Ländern braucht man zunehmend gut qualifizierte Mitarbeiter, weil einfache Produktionsarbeiten tatsächlich günstiger in Entwicklungsländern erledigt werden können. Wenn nun ein Mensch keine guten Voraussetzungen hat, weil ihm die nötigen Abschlüsse fehlen, dann wird es schwer sein, ihn wieder in Arbeit zu vermitteln. Auf jeden Fall sprechen wir hier über einen Prozess, der Zeit braucht. Eine Umschulung kann nicht in zwei Wochen erfolgen.

Aber das ist die Zukunft der Arbeitswelt, wie die Forscherin Lynda Gratton behauptet. In Zukunft wird vieles davon abhängen, ob Menschen sich neue Fertigkeiten aneignen können. Veränderungen sind für Menschen nicht einfach zu stemmen. Ich selbst kenne Phasen der Arbeitslosigkeit, so dass ich weiß, wie unangenehm das ist. Die Fähigkeit sich neuen Gegebenheiten anzupassen, gehört nicht zur Grundausstattung der Gattung Mensch, zumindest nicht in einem Rhythmus von zwei Jahren. Aber genau diese Fertigkeit wird zunehmend gefragt sein. Lynda Gratton empfiehlt deshalb, sich frühzeitig mit der Adaptionsfähigkeit zu befassen.