Wir kommen nun zu der interessantesten Debatte über die Vor- und Nachteile des internationalen Handels. Diese Debatte dauert nun seit über 200 Jahren an. Kurz nachdem Adam Smith und David Ricardo ihre Werke über den Vorteil des ungebremsten Handels veröffentlichten, ging die Debatte schon los.

Worum geht es bei dieser Debatte? Um die Frage, ob ein Land sich entwickeln kann, wenn es auf den Freihandel baut.

Heute schauen wir und das dritte Argument gegen den Freihandel: Schutz der Wirtschaft vor Konkurrenz, um sich zu entwickeln.

An der Debatte, um den Schutz der Wirtschaft, erkennt man auch, was uns viele Wirtschaftswissenschaftler gerne verschweigen. Nehmen wir das Beispiel eines Standardwerkes über die Wirtschaftswissenschaft. Die Vorteile des Freihandels werden in solchen Werken mit Diagrammen und Berechnungen vorgeführt. Wer sich diese Berechnungen und die Idee des komparativen Kostenvorteils anschaut, kann nur zu dem Schluss kommen, dass Freihandel in allen denkbaren Fällen die beste Option ist. Wer diese Ideen besser verstehen möchte, der sei auf meinen Artikel über den komparativen Kostenvorteil verwiesen.

Wenn diese Theorie stimmt, dann stellt sich unweigerlich folgende Frage: Warum grassiert bis heute der Protektionismus weltweit und warum verstehen Menschen nicht, dass der Freihandel immer die bessere Wahl ist?

Der Nobelpreisträger Paul Samuelson gab einmal einem Mathematiker, der wenig Respekt für die Wirtschaftswissenschaft hatte, eine sehr bissige Antwort als es um die Idee des komparativen Kostenvorteils ging. Er postulierte, dass diese Idee mathematisch gesehen wahr und nicht trivial ist. Das diese Idee wahr ist, müsse mit einem Mathematiker gar nicht diskutiert werden. Hier brauche man nur auf die Berechnungen zu schauen. Das diese Idee nicht trivial ist, wird durch tausende intelligente Menschen bestätigt, denen man diese Idee zunächst erklärt, nur um dann festzustellen, dass sie es nicht verstehen können oder wollen.

Ich muss zugeben, auch ich habe diese Idee zunächst nicht verstanden, ebenso wie Abraham Lincoln, der einmal folgende Äußerung über den Handel von sich gab:

"I do not know much about the tariff, but I know this much, when we buy manufactured goods abroad, we get the goods and the foreigner gets the money. When we buy the manufactured goods at home, we get both the goods an the money."

Wenn es nur um Geld ginge, hätte er wahrscheinlich Recht behalten. Aber das ist natürlich Unsinn. Im Handel geht es nicht primär um Geld, sondern um die Nutzung knapper Ressourcen und die Arbeitskraft, die wir einsetzen müssen, um Produkte zu erzeugen.

Es kann also durchaus sein, dass der Freihandel bis heute skeptisch betrachtet wird, weil viele die dahinterliegende Idee nicht verstehen. Es kann aber auch sein, dass Ökonomen uns etwas verschweigen. Und tatsächlich gibt es einige Punkte, die man neben der Idee des komparativen Kostenvorteils wissen muss.

Die ersten Kritiker der Freihandelsidee

Es gab von Beginn an auch Theoretiker, die eine Abschottung vom internationalen Handel befürworteten. Einer der Größten war Friedrich List, ein Deutscher der in die USA auswanderte und dort von Alexander Hamilton’s protektionistischen Ideen beeinflusst wurde. 1841 veröffentlichte er sein Werk Das nationale System der politischen Ökonomie. List sah durchaus die Vorteile des Handels aber nur unter der Bedingung, dass ein Land zunächst eine starke Industrie aufbauen konnte. Länder profitieren nur dann vom Handel, wenn es schon einige Unternehmen gibt, die sich auf dem Weltmarkt behaupten können. Deshalb sollte jedes Land zunächst gewisse Sektoren schützen. List glaubte, dass Freihandel eine Politik der Starken ist. Zu dieser Überzeugung gelangte er durch Beobachtung von Ländern wie Großbritannien und den Vereinigten Staaten. Beide haben sich erst dem Welthandel geöffnet, als sie eine starke Industrie entwickelt hatten. Als Großbritannien einige Globalplayer hatte, begann es von der Überlegenheit des Freihandels zu sprechen. Gemeint war natürlich: Überlegenheit der eigenen Produkte.

Freihandel wurde tatsächlich immer zunächst von den mächtigen Staaten propagiert. Und historisch gesehen finden wir kaum ein Land, das durch Freihandel erfolgreich wurde. Jedes wirtschaftlich erfolgreiche Land hat irgendwann eine protektionistische Politik verfolgt. Das liegt an der merkantilistischen Ethik, die bis heute sehr verbreitet ist.

Vor dem Freihandel - den es in der reinen Form natürlich noch nie gab - herrschte der Merkantilismus. Der Merkantilismus hatte zum Ziel, die heimische Wirtschaft stark zu machen. Welche Bereiche stark sein sollten, entschieden die Machthaber und einige wenige Produzenten.

Meistens lief die Sache etwa so ab: Einige wenige Menschen kamen auf die Idee den Überseehandel zu organisieren. Man musste zur damaligen Zeit schon sehr verrückt sein, um auf solch eine Idee zu kommen. Es war nämlich sehr riskant und gefährlich. Diese Menschen mussten viel investieren und konnten nicht sicher sein, ob die Investitionen nicht umsonst sind. Also knüpften sie Kontakte zu Politikern und baten um Hilfe, meistens in Form von Schiffen und Geld. Im Gegenzug versprach sie den Politikern hohe Gewinne. Die ersten globalen Konzerne, wie die Britische Ostindien-Kompanie, konnten nur durch die schützende Hand der britischen Marine erfolgreich werden. Damals hatte der Investitionsschutz, der gerade im TTIP-Abkommen sehr strittig ist, eine wirkliche Relevanz.

Im Merkantilismus war die Verknüpfung zwischen Unternehmen und der Politik also sehr eng. Heutige Ökonomen stehen dieser Verbindung sehr skeptisch gegenüber. Das liegt daran, dass der Merkantilismus die Korruption förderte, nur einigen wenigen Gruppen nutzte und allen voran zu einer aggressiven Politik führte. Ziel war es, dem Staat stetig wachsende Einnahmen zu sichern. Dazu eignete sich der Export besonders gut. Handel war auch im diesem Zeitalter vorhanden, allerdings ging es darum, den Export zu fördern und den Import fast unmöglich zu machen. Importiert sollten höchsten Rohstoffe werden, aber keine fertigen Produkte.

Hohe Zölle auf ausländische Produkte gehörten hier zur Maxime. Export führt dazu, dass Geld in die heimische Wirtschaft fließt, Import hingegen, dass es in die Wirtschaft anderer Länder geht, wie Lincoln richtig bemerkte. Um ein starkes Militär aufzubauen, nutzen merkantilistische Staaten also den Export, um Geld anzuhäufen. Dieser Geldüberfluss wurde dazu genutzt den Staat und das Militär auszubauen. Militär hatte in dieser Politik eine wichtige Rolle. Wenn alle Länder nur exportieren wollen, dann gibt es bald keinen Handel, denn irgendjemand muss den Import ja zulassen. Im Merkantilismus wurden andere Länder nicht selten durch Gewalt zum Abbau von Handelsbarrieren gezwungen. Ein starkes Militär sicherte, dass noch mehr Länder zum Abbau der Handelsbarrieren gezwungen werden konnten.

Gegen diese Wirtschaftsform wandten sich letztlich Adam Smith und David Ricardo. Zunächst einmal sahen sie, dass diese Form nur den Produzenten nutzt. Die Verbraucher haben nichts davon, wenn das eigene Land nur exportiert. Die Früchte des Handels erreichen den Verbraucher erst durch den Import.

Gleichzeitig sahen die beiden Denker, wie aggressiv diese Politik war. Wie anders als durch Gewalt konnten Länder zum Abbau Ihrer Handelsschranken animiert werden?! Hier dominierten wirklich die Starken. Diese Wirtschaftsform gehört der Vergangenheit an, aber die merkantilistische Ethik dahinter lebt bis heute fort. Fast alle Länder wollen exportieren und am liebsten die Importe eingrenzen. Nur benutzt man heute andere Argumente, um den Import einzugrenzen. Heute sprechen protektionistische Stimmen eher vom unfairen Wettbewerb (China, mit Ihren günstigen Arbeitskräften, die auch noch ausgebeutet werden), von Umweltstandards, die andere Länder missachten und von traditionellen Lebensweisen, die man weiterhin erhalten möchte (Agrarpolitik der EU).

Trotzdem lernen wir etwas aus dieser Geschichte, nämlich die wichtige Rolle des Staates bei der Ausweitung des Handels. Letztlich hat Großbritannien und später die USA erst dann die Idee des Freihandels aufgegriffen, als einige Wirtschaftsbereiche besonders stark waren.

Wer entscheidet, welche Bereiche der Wirtschaft schützenswert sind?

Bis heute wird deshalb in Fachkreisen diskutiert, ob eine merkantilistische Handelspolitik nicht ihre Vorteile hat. Heute geht es weniger darum, eine aggressive Politik zu verfolgen, sondern um den Schutz bestimmter Sektoren. Ein Land, dass nur Rohstoffe oder Agrarprodukte exportiert, hat bisher den Sprung in der Entwicklungsleiter nach oben, nicht vollzogen.

Alle Staaten, die erfolgreich sind, haben ihre Wirtschaft vor Importen geschützt. China, Japan, Südkorea, Taiwan und Indonesien gehören zu solchen Staaten. Die Öffnung für den Handel kann manchmal dazu führen, dass Länder keine starke Wirtschaft entwickeln.

Warum propagieren Ökonomen trotzdem den Freihandel, obwohl sie wissen, dass eine Abschottung auch Vorteile mit sich bringt? Ganz einfach: Irgendjemand muss definieren, welche Bereich geschützt werden sollen und das ist gar nicht so einfach. Ist es realistisch, die Einfuhr aller Computer zu verbieten, um eigene PC-Hersteller zu fördern? In der Regel nicht. Gewöhnlich entscheiden Politiker, welche Bereiche geschützt werden müssen. Aber in vielen Ländern sind die politischen Führer korrupt oder haben nicht die nötigen Informationen, um zu bestimmen, welche Bereiche erfolgreich werden könnten. Deshalb sind Ökonomen sehr skeptisch, wenn der Staat die Rolle des Entwicklers übernehmen möchte.

Neueste Erkenntnisse zeigen aber, dass der umgekehrte Weg, eben auch seine Probleme birgt. Länder, die Ihren Handel nicht regulieren, haben große Schwierigkeiten, eigene Schlüsselindustrien aufzubauen. Und der Handel mit Rohstoffen gilt nicht gerade als ein Weg in die Entwicklung. Solche Länder profitieren zumindest von Technologien, die sie importieren können, und sammeln ferner Know How im Umgang mit diesen Technologien, aber trotzdem können sie dieses Know How oftmals nicht einsetzten, um eigene Industriezweige aufzubauen.

In den letzten Jahren hat die Idee, den Handel einzuschränken, wieder mehr Befürworter unter Ökonomen gefunden. Damit ein Staat aber den Handel weise reguliert, bedarf es sehr guter und funktionierender Institutionen. Korruption hat sich hier als der größte Feind solcher bedachter Handelspolitik erwiesen. Deshalb sucht man in der Wissenschaft zunehmend nach Mitteln, wie Korruption bekämpft und wie funktionierende Institutionen etabliert werden können.

Hat dieses Argument auch eine Relevanz für das TTIP-Abkommen

Nein. Sowohl die Amerikaner wie auch die Europäer haben eine sehr gut entwickelte Wirtschaft mit starken Firmen in unterschiedlichen Bereichen. Auf beiden Seiten des Atlantiks benötigen diese Firmen nicht unbedingt einen Schutz vor Konkurrenz. Trotzdem werden auf beiden Seiten des Atlantiks gewisse Sektoren geschützt. Die Agrarpolitik genießt beispielsweise einen hohen Schutz vor Konkurrenz. Hier sprechen wir nicht unbedingt über eine Schlüsselindustrie. Hier sehen wir eher, wie eine Politik des Schutzes ein Land in eine Richtung führen kann, die es später kaum noch ändern kann.

Die Europäische Agrarpolitik ist eine reine Planwirtschaft mit ganz wenigen Merkmalen des Freien Marktes. Ein großer Teil der EU-Ausgaben fließt in diesen Sektor, obwohl nur ein ganz geringer Teil der Europäer in diesem Bereich arbeitet. Ohne Subventionen und Beschränkungen des Handels könnte dieser Sektor nicht überleben. Das Schlimme an dieser Politik liegt darin, dass viele Entwicklungsländer - traditionell Agrarexporteure - heute von dieser fehlgeleiteten Politik profitieren. In Entwicklungsländer kehrt sich das Verhältnis um: die Mehrheit arbeitet im Agrarsektor, während der Industrie- und Dienstleistungssektor wenig ausgeprägt ist.

Nun wurden europäische Agrarkonzerne über Jahre angeregt, mehr zu produzieren, als sie auf dem europäischen Markt absetzten können. Die überschüssigen Erzeugnisse wurden mit Exportsubventionen ins Ausland verkauft, was dazu führte, dass einige Entwicklungsländer zu Hauptabnehmern dieser künstlich billigen Produkte wurde. Die eigene Agrarwirtschaft wurde stark beschädigt. Eine Liberalisierung des Agrarsektors in der EU würde nun wieder diese Länder hart treffen, weil es eben Zeit braucht, bis die eigene Wirtschaft sich wieder entwickeln kann. Hier sehen wir ein richtiges Dilemma.

Man sieht also, dass die Rolle des Staates manchmal sehr gute Ergebnisse bringen kann aber oftmals auch sehr negative. Deshalb sind Ökonomen sehr skeptisch, wenn Politiker bestimmte Sektoren schützen möchten. Man weiß nie genau, was am Ende dabei rauskommt.