Ich beginne mit einem Satz, der heute inflationär benutzt wird: Wissenschaftler haben entdeckt, dass.....

Vielleicht können Sie diesen Satz nicht mehr hören. Wissenschaftler entdecken nämlich viel. Aber in diesem Fall haben sie wirklich etwas Interessantes entdeckt. Sie entdeckten, das man nur zwei Eigenschaften braucht, um erfolgreich zu sein: Intelligenz und Selbstdisziplin.

Wie man die Intelligenz steigern kann, wurde noch nicht herausgefunden, auch wenn Intelligenztests Einem etwas anderes vorgaukeln wollen. Hier müssen wir noch warten, bis sie eine Lösung finden. Bis dahin muss sich jeder mit dem zufrieden geben, was ihm Mutter Natur schenkte. Aber keine Sorgen, die wichtigere Eigenschaft ist die Disziplin. Und die kann jeder trainieren.

Vielleicht haben Sie sich schon gefragt, warum es so einfach geht, sich schlechte Gewohnheiten anzueignen. Und noch wichtiger: Warum können wir uns nicht ebenso einfach gute Gewohnheiten zulegen?!

Die Antwort finden wir in Disziplin.

Schlechte Gewohnheiten gehen uns leicht von der Hand, weil sie uns in der Regel zunächst ein gutes Gefühl verschaffen und erst später die Rechnung präsentieren. Schokolade befriedigt sofort; der Bauch schmerzt erst später.

Gute Gewohnheiten funktionieren anders. Erst zahlen wir die Rechnung und dann erfreuen wir uns an den Früchten. Sport tut gut, aber erst nach dem Sport. Kurzfristig müssen wir etwas investieren, um uns langfristig gut zu fühlen. 

Nun verstehen Sie vielleicht, wo das Problem liegt und warum schlechte Gewohnheiten schneller erlernt sind. Wir brauchen keine Disziplin, um sie zu erlernen. Gute Gewohnheiten erfordern hingegen disziplinierte Anstrengung.

Leider hat die Disziplin keinen guten Ruf in unserer Zeit. Aber das ändert sich langsam wieder. Der Trend hin zu mehr Disziplin wird heute von der Technik begünstigt. Apps, die unsere Schritte zählen; uns helfen die Finanzen im Blick zu behalten; uns mitteilen, auf welchen Webseiten wir viel Zeit vergeuden; all das führt zu mehr Selbstdisziplin. Und die wiederum entscheidet, ob Menschen ihr Leben erfolgreich führen können oder eben nicht.

Was ist Disziplin und warum sind religiöse Menschen so geübt in dieser Tugend?

Disziplin ist die Fähigkeit, eine Belohnung auf später zu verschieben.

Wer mehr über diese Eigenschaft erfahren möchte, sollte einfach mal die Bibel oder den Koran lesen. Gott erschuf die Welt in sechs Tagen und ruhte erst am siebten. Gott setzte Adam und Eva ins Paradies; Mangel an Selbstdisziplin führte zu ihrem Rausschmiss.

Die Bibel und der Koran sind unter anderem Bücher über Selbstdisziplin und religiöse Menschen sind besonders diszipliniert. Das alte Testament ist beispielsweise voller Gebote, an die sich Menschen halten sollen. Gerade monotheistische Religionen erfordern viel Selbstdisziplin, weil der Lohn gewöhnlich erst nach dem Tod kommt.

Adam und Eva wären nur unter einer Bedingung im Paradies verblieben: wenn sie niemals vom Baum der Erkenntnis genascht hätten. Ein schwieriges Unterfangen. Wer aber wahrhaft an Gott glaubt, dem gelingt auch diese Selbstdisziplin. Und welche Menschen geniessen den größten Ruhm?! Diejenigen, die besonders diszipliniert sind: Noah, Abraham, Mose, Hiob, Rut und Ester, um nur Einige zu nennen.

Wie können diese Menschen so diszipliniert sein? Weil sie an Gott glauben und mit Gott ist vieles möglich. Man denke nur an die Wandlung von Saulus zu Paulus. Saulus war ein bestialischer Mensch, der die Christen verfolgte und mordete. Ein scheusslicher Mensch. Dann begegnete er Jesus und lernte Gott kennen.

Saul! Warum verfolgst du mich?

Wer bist du, Herr?

Ich bin Jesus, den du verfolgst!

Diese wenigen Worte reichten aus, um sein ganzes Wesen zu ändern und ihn zu einem der größten Christen aller Zeiten zu verwandeln. Sie finden es schwer, die Finger von der Schokolade zu lassen?! Hmmm...was würde Paulus dazu sagen?!

Disziplin kann man heute noch besser an den Moslems studieren. Fünfmal täglich beten, einmal jährlich fasten, regelmäßig den Koran studieren, keinen Alkohol, kein Schweinefleisch, Lästern und Mobbing strengstens verboten; das sind einige Gebote, an die sich Moslem bis heute halten. Und sie nehmen es ernst. Auch sie können diese Disziplin nur aufbringen, weil Sie an Allah glauben.

In westlichen Ländern können wir mit religiösen Überzeugungen nicht viel anfangen, aber wer sich die Tugend der Disziplin aneignen möchte, der kann von Religionen vieles lernen.

Nicht interessiert? Wie wäre es mit dem Buddhismus?! Auch Buddhisten sind Meister der Selbstdisziplin. Schon einmal die Geschichte von dem Menschen gehört, der einen Zen Meister fragte, wie man sein Leben ändern kann?!

Der Meister sprach:

"Setz dich täglich hin und meditiere 30 Minuten." 

Die Antwort schien dem Fragenden zu simpel. Der Meister entgegnete:

"Du kannst keine 30 Minuten ruhig sitzen bleiben, willst aber dein Leben ändern?!"

Wenn es um Religion geht, dann geht es um die Perfektionierung der Disziplin. Hier sehen wir Disziplin in ihrer Reinform. Und daran lässt sich gut studieren, wie sie erlernt werden kann.

Die erste Regel, um disziplinierter zu werden: die richtigen Ziele

In einer Drogenklinik in Burlington führten Psychiater ein Experiment mit Heroinabhängigen durch. Sie ließen diese Abhängigen und eine Kontrollgruppe zwei Geschichten zu Ende schreiben. Die Wissenschaftler gaben nur den ersten Satz vor, den Rest konnten die Probanden in aller Freiheit fertig schreiben.

Worum ging es in diesem Experiment? Es ging um das Nachdenken über die nahe und ferne Zukunft. Die Psychiater wollten einfach wissen, über welche Zeitspanne die Gruppen schreiben werden. Sie entdeckten etwas faszinierendes.

Wenn die Gruppen über die nahe Zeit nachdenken sollten, dann umfasste es bei den Menschen aus der Kontrollgruppe gewöhnlich eine Zeitspanne von einer Woche; bei den Heroinabhängigen nur eine Stunde. Und die ferne Zukunft? Die Kontrollgruppe fantasierte über ferne berufliche Ziele oder eine Heirat; die Süchtigen dachten an den nächsten Arzttermin oder einen Besuch bei Verwandten. Süchtige Menschen sind offensichtlich nicht imstande über eine ferne Zukunft nachzudenken. Ihr Vorstellungsvermögen reichte gerade einmal für neun Tage, die Kontrollgruppe dachte über einen Zeitraum von viereinhalb Jahren nach.

Wer also mehr über das Fehlen von Disziplin erfahren möchte, der schaut sich einfach süchtige Menschen an. Sie sind der Gegenpol zu religiösen Menschen.

Was macht den Unterschied aus? Die richtigen Ziele. Wir können jetzt schon eine Schlussfolgerung ziehen: Menschen, die langfristige Ziele haben, sind gewöhnlich disziplinierter und erfolgreicher. Religiöse Menschen erwarten die Belohnung erst nach ihren Tod. Ein entfernteres Ziel kann man sich nicht vorstellen. Süchtige Menschen hingegen können sich diese fernen Ziele nicht einmal vorstellen, geschweige denn sie zu erreichen. Sie scheitern deshalb öfters.

Vielleicht haben Sie den Film Trainspotting gesehen und erinnern sich an die Szene, in der Ewan McGregor versucht mit Heroin aufzuhören? Er besorgt alles Notwendige, um den Entzug zu überstehen:

  1. Tür verriegeln 
  2. Tomaten- und Champignonsuppe, um den Magen zu schonen
  3. Vitamine und Medikamente - um den Körper aufzubauen und die Schmerzen zu mildern
  4. Viel Wasser
  5. Pornographische Hefte
  6. Drei Eimer neben dem Bett, falls ihn die Übelkeit überkommt und
  7. Fernseher, um sich abzulenken

Am Ende der Vorbereitung fehlt nur noch eine Sache:

Der letzte Schuss, der natürlich gleichzeitig auch der erste Schuss ist!

Wer keine fernen Ziele hat, der kann auch kaum kurzfristige Ziele erreichen. Umgekehrt, kann man auf lange Sicht nur erfolgreich sein, wenn man nahe Ziele hat und erreicht. Die Mischung aus Fern- und Nahzielen sichert den Erfolg. 

Sie brauchen also eine gute und lebendige Phantasie, um sich auszumalen, wie Ihre Zukunft aussehen wird. Je konkreter Sie diese Zukunft sehen und fühlen, desto motivierender gehen Sie dran, sie zu verwirklichen. Eine lebendige Phantasie ist also die Geburtsstunde der Disziplin. Deshalb beginnt die Bibel mit dem Paradies und endet mit der Offenbarung; beides Manifestationen einer lebendigen Phantasie. Zwischen diesen beiden Ereignissen finden wir eine Menge Nahziele (täglich beten) und Gebote, die uns auf Kurs halten sollen.

Doch wie erreicht man die Nahziele am besten, wenn man nicht gerade religiös ist? Man braucht ein gutes System.

Wie man mit Gewohnheiten seine Disziplin steigert, um seine Fernziele zu verwirklichen

Im Grunde ist es gleichgültig, welches System Sie wählen, solange Sie es regelmäßig praktizieren. Regelmäßigkeit sichert den Erfolg. Würden Moslems nicht täglich fünfmal beten, würden sie wahrscheinlich vergessen, was das Fernziel ist. Und genauso ergeht es jedem Menschen, der etwas anvisiert. Er braucht regelmäßige Übung.

Der Wissenschaftler Charles Duhigg hat hier ein interessantes Modell erarbeitet, um sich Gewohnheiten anzueignen. Sehen wir uns das Modell an dem Beispiel von Sucht genauer an.

Sucht kann sehr mechanisch betrachten werden. Ein Mensch fühlt sich frustriert oder gelangweilt (Auslöser), greift zur einer Flasche Bier (Routine) und erhält ein wohliges Gefühl (Belohnung).

Quelle: Charles Duhigg - Die Macht der Gewohnheit

Das Prinzip leuchtet ein: Bier ist eine kurzfristige Lösung mit langfristig destruktiven Folgen. Das Problem liegt nicht generell im Auslöser oder der Belohnung, sondern in der Routine. Wer sich schlechte Gewohnheiten abgewöhnen möchte, braucht eine neue Routine.

Ist das eine besondere Erkenntnis? Ja. Im Beispiel von Sucht ging man lange davon aus, dass im Auslöser das Problem und damit auch die Lösung liegt. Doch neueste Erkenntnisse zeigen, dass man Sucht auch dann behandeln kann, wenn man den Auslöser unbehandelt lässt.

Die Anonymen Alkoholiker (AA) gelten als eine Selbsthilfegruppe mit einer hohen Erfolgsrate und als Musterbeispiel von Selbstdisziplinierung. Alkoholiker und Selbstdisziplin?! Duhigg wollte verstehen, wie diese Wandlung erklärt werden kann. Dabei stellte er fest, dass der Auslöser völlig unbehandelt bleibt. Ein Mensch, der getrunken hat, weil er sich einsam fühlte, fühlt sich weiterhin oft einsam, aber trinkt nicht mehr. Wie kommt das?

Die Routine hat sich geändert. Offensichtlich führt die Routine in eine Gruppe zu gehen, statt ein Bier zu trinken, zu dem gleichen Ergebnis; nämlich einem guten Gefühl (Belohnung). Routinen sind sehr stark, weshalb traditionelle Behandlungsform von Alkoholismus so selten erfolgversprechend sind; Die Behandlung hört in der Regel auf, bevor eine neue Routine entwickelt werden konnte. Die Mitglieder der AA können hingegen fast täglich eine Gruppe besuchen und immer wieder darauf zurückgreifen. Diejenigen, die regelmäßig solche Gruppen besuchen, sind besonders erfolgreich.

Was auch immer Sie ändern möchten, suchen Sie nach Routinen, die Ihnen eine Belohnung bieten. Daran wird auch deutlich, warum religiöse Menschen so diszipliniert sind: Sie haben Routinen, die ihnen über Durststrecken hinweghelfen und sie auf Kurs halten.

Und selbst die destruktivsten Gewohnheiten kann man umformen, sofern man eine neue Gewohnheit entwickelt. Wahrscheinlich scheitern deshalb alle Diäten: Sie sind auf Zeit ausgelegt. In 4 Wochen 10 Kilo runter; In 5 Wochen zur Traumfigur. Und danach? Das gleiche Spiel von Neuem.

Die Formel für mehr Disziplin

Fassen wir also zusammen: Disziplin führt zum Erfolg in fast allen Bereichen des Lebens. Dabei benötigt man ein konkretes und lebendiges Fernziel - beispielsweise Leben ohne Alkohol -, das angestrebt wird. Dieses Fernziel kann man aber nur erreichen, wenn man kleine Ziele hat, wie das Vorhaben nur heute kein Alkohol zu trinken. Und zuletzt eine Routine, die Einen auf Kurs hält und Belohnungen bietet.