Was ist romantische Liebe?!

Es ist die Vorstellung, dass es auf diesem Planeten (mit bald 8 Milliarden Menschen) einen perfekten Partner gibt. Wenn man das so ausspricht, klingt das irgendwie absurd. Die romantische Liebe ist deshalb die letzte Bastion, die uns daran erinnert, dass Leben etwas Mystisches und Irrationales enthält. Die Welt ist also nicht ganz entzaubert. Gott mag tot sein, der Glaube an den perfekten Partner dafür umso stärker.

Sich zu verlieben, bedeutet deshalb, dass Hoffnung über Selbsterkenntnis triumphiert. Wenn wir uns verlieben, dann hoffen wir, in der Person unserer Liebe nicht das zu finden, was wir in uns selbst haben: Nämlich all unsere Feigheit, unsere Schwächen, unsere Unehrlichkeit, unsere faulen Kompromisse und unsere Dummheit! All das existiert in dem Objekt unserer Liebe nicht und gerade diese Erfahrung lässt uns hoffen, dass auch wir als Menschen noch etwas taugen könnten.

Eine herrliche Vorstellung, oder?!

Während wir sonst vernünftig und besonnen sind; unser Leben von kalter Rationalität beherrscht wird; von praktischen Problemen, die kaum Zeit zum Träumen lassen, beginnen wir in der Liebe plötzlich die absurdesten Dinge zu glauben.

So auch Alain de Botton, der auf dem Flug von Paris nach London eines Tages neben einer Frau sitzt, die sich als seine Traumfrau entpuppt. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Traumfrau, an diesem Tag, mit diesem Flugzeug ausgerechnet nach London muss und dann auch noch neben ihm sitzt, ist 1 zu 1.600.000.

Ist das nun Zufall?!

Auf gar keinen Fall; es ist Schicksal.

Kommen Sie einem Verliebten nicht mit Fakten. Das bringt nichts. Während wir sonst, an nichts mehr glauben können, stricken wir in der Liebe eine Geschichte, die sogar bei unseren Urururgroßeltern ihren Anfang nehmen kann.

Wären sie sich nämlich vor 300 Jahren nicht begegnet und wären sie nicht ein Paar geworden, dann hätten sie keine Kinder gezeugt, die sich wiederum verliebten und Kinder zeugten. Nur deshalb konnten dann irgendwann unsere Eltern gezeugt werden, die natürlich uns auf diese Welt brachten. Und warum?! Damit wir an diesem Tag genau diese Person treffen können. Alles führte schon immer in Richtung dieser Begegnung, wir wussten es nur noch nicht.

Und überhaupt, wäre unser Leben nicht so verlaufen, wie es verlaufen ist; hätten wir nicht die Prägung gehabt, die wir hatten; hätten wir nicht die Erfahrungen gemacht, die wir machten; hätten wir nicht die Entscheidungen getroffen, die wir trafen; naja, dann wären wir nie dieser besonderen Person an diesem besonderen Tag begegnet.

Absurd aber schön.

Die Liebe erinnert uns an das antike Konzept der Teleologie: Teleologie ist die Vorstellung, dass unser Leben auf ein Ziel gerichtet ist. Von wem wird es auf ein Ziel gerichtet? Vom Gott, dem Schicksal oder dem Universum, wenn ihnen das lieber ist.

In diesem Fall ist das Ziel die Begegnung mit meiner Traumfrau. Auf einmal ergibt das ganze Leben Sinn. Alles musste sich so ereignen, wie es sich ereignete, sonst wären wir uns nie begegnet. Alles greift ineinander.

Wenn wundert es, dass Bücher, Filme und Musik fast nur von dieser Art der Liebe spricht. Sie ist einfach wundervoll.

Warum stirbt diese Liebe zunehmend?!

Vielleicht kann man das gut an Dating-Apps verdeutlichen, über die wir zunehmend unsere Partner kennen lernen.

Und wir können folgende Frage stellen: Kann man steuern, in wen man sich verliebt?! Die romantische Liebe würde Nein schreien. Und hier gefährden Datingseiten diese Form der Liebe, denn zur Liebe gehört Kontingenz.

1. Kontingenz oder die Idee des Ereignisses

Kontingenz ist ein philosophischer Begriff, der besagt, dass etwas möglich aber nicht notwendig ist. Wir könnten unseren Traumpartner prinzipiell finden - es ist möglich -, aber es ist nicht notwendig, dass es geschieht. Es muss die Möglichkeit der Nichtmöglichkeit geben. Etwas, das sich unserer Kontrolle entzieht, uns plötzlich und unerwartet trifft. Wir haben es nicht geplant, diese Person an diesem Tag zu treffen und wir konnten nicht wissen, was diese Person so besonders macht. Es trifft uns einfach.

Plötzlich steht diese Person neben dir, nicht dein Typ, aber irgendetwas ist passiert und auf einmal weißt du es.

Und hier ist das Problem mit Datingseiten oder Apps. Dort steuern Sie, wenn Sie treffen. In den ausgefuchsten Seiten ala Paarship und Elitepartner - die ja zunehmend die Rolle der Eltern in traditionellen Gesellschaften übernehmen - geben Sie die Kriterien vor, die Ihr Partner mitbringen soll. Nur diejenigen, die Ihre Kriterien erfüllen, werden Ihnen vorgeschlagen. Killer Nummer eins für diese Form der Liebe.

Apps ala Tinder und okcupid sind weniger restriktiv, aber auch hier greift das Prinzip, wenn auch oberflächlicher - nämlich anhand des Fotos und einem kurzen Text -, dass letztlich Sie bestimmen, wenn Sie treffen werden; naja, sofern der andere Sie ebenfalls mag.

Philosophen und Sozialwissenschaftler nennen dieses Konzept „Safe Love“. Bevor sie sich in jemanden verlieben - was immer ein Risiko ist, denn es könnte die Falsche sein -, klappern sie einige Kriterien ab; sie riskieren also erst dann, sich zu verlieben, wenn es sicher ist, dass es die Richtige ist. Killer Nummer zwei für die romantische Liebe.

Deshalb erleben viele die Partnersuche als so frustrierend. Man schiebt es immer auf die falschen Frauen oder falsche Männer, die Wahrheit ist aber, dass es frustrierend ist, weil wir spüren, dass die Liebe nicht etwas Kontrollierbares ist. Es ist eher ein Ereignis, das sich unserer Kontrolle entzieht und Unsicherheit bringt. Wir können nicht wissen, wer unser Traumpartner ist. Erinnern Sie sich an die größte Liebesgeschichte der Welt, nämlich die von Romeo und Julia. Auf einer Party begegnen sich beide nichtsahnend und bäm verlieben sich, bevor sie wissen, wer der andere ist.

Als Julia realisiert, wer Romeo ist, kommen ihr diese schönen Worte über die Lippen:

"So einzge Lieb aus großem Haß entbrannt!

Ich sah zu früh, den ich zu spät erkannt.

O Wunderwerk: ich fühle mich getrieben,

Den ärgsten Feind aufs zärtlichste zu lieben."

Wunderschön. To fall in love. Im Deutschen haben wir dafür nicht einmal die richtigen Worte. Man fällt, wenn man sich verliebt.

Das können Sie in einer Dating-App nur schwer einbauen.

2. Lieben kann man nur Menschen, die nicht perfekt sind

Das zweite Problem dieser Apps ist, dass man sich dort präsentieren muss. Verstehen Sie mich nun nicht falsch, schlimm ist hier nicht, dass wir uns automatisch in einer unehrlichen Art und Weise präsentieren; das tun wir nämlich immer und überall. Ich zeige Ihnen immer nur ein Bild, wie sie mich sehen sollen. Selbst wenn wir alleine sind, spielen wir die Person, die wir gerne wären.

Egal ob in einer App oder in der Wirklichkeit. Das Problem liegt woanders: Man kann sich nur in Menschen verlieben, die nicht perfekt sind; einen perfekten Menschen kann man nicht lieben, den kann man höchstens bewundern. Liebe hasst Perfektion. Lieben kann man nur dort, wo man einen Menschen sieht und sich denkt:

„Wenn das nicht wäre (diese Nase, diese 3 Kilo zu viel, dieser Bauch usw.), dann wäre diese Person perfekt.“

Genau dieser Kontrast ist die eigentliche Ursache für unsere Liebe. Freunde fragen dann immer: Was findet sie bloß an ihm?! Deshalb ist die Liebe meistens vorbei, wenn einer der Partner dieses nicht Perfekte auszumerzen beginnt! Achten Sie beim nächsten Mal darauf, wenn sie ihren Partner durch die Blume sagen: willst du nicht mal weniger essen und etwas Sport treiben?!

Ein Mensch muss einen Makel haben, damit wir ihn wirklich lieben können. Sobald wir diesen Makel korrigieren wollen – das wollen wir übrigens immer -, endet diese Liebe. Deshalb war die romantische Liebe immer begleitet von einem tragischen Ende.

Trotzdem gehört diese Konzeption zur Moderne und insgeheim lechzen wir alle nach diesen einen perfekten Menschen, der so gar nicht perfekt ist.

Aus diesem Grund schneide ich mir übrigens auch die Haare selbst. Damit mein Gegenüber sich verlieben kann, brauche ich einen Makel. Deshalb sind meine Haare unterschiedlich lang. So sichere ich, dass man mich nicht als zu perfekt wahrnimmt! Liebe braucht das!

Die Frage ist, wie man dieses Element in Partnerbörsen einbauen kann.

Dort ist es extrem schwer das nicht Perfekte zu zeigen; ja fast schon tödlich.

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Alain de Botton - Versuch über die Liebe

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Alain Badiou - Lob der Liebe

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