Es ist nie gut, einen Sachverhalt nur aus dem Munde eines Kritikers zu vernehmen. Meine erste Frage, als ich von TTIP hörte, war: Was sagen die wichtigsten Ökonomen zu diesem Thema? Derzeit sind es drei Ökonomen, die sich auf diesem Gebiet gut auskennen: Jagdish Bhagwati, Paul Krugman und Joseph Stiglitz.
Ich kenne und lese die Bücher von allen drei Ökonomen. Wenn es um Handelspolitik geht, so scheint mit Jagdish Bhagwati der beste Experte zu sein. Paul Krugman gehört zu den Koryphäen auf dem Gebiet des internationalen Handels, war aber letztlich ein Schüler von Jagdish Bhagwati. Jospeh Stiglitz gehört zu den kritischsten Stimmen, wenn es um Handelsabkommen geht, allerdings sind seine Ansichten in der Fachwelt durchaus umstritten.
Man muss wissen, dass die drei Ökonomen in vielen Punkten Erzfeinde sind. Gerade Jagdish Bhagwati und Jospeph Stiglitz divergieren oftmals in Ihren Ansichten. Während Bhagwati die Globalisierung verteidigt, gehört Stiglitz zu den größten Kritiker der Globalisierung. Paul Krugman wird hingegen oft vorgeworfen, arrogant alles zu ignorieren, was ihm nicht passt. Er schreibt derzeit überwiegend als Journalist für die New York Times und konzentriert sich auf die amerikanische Wirtschaftsentwicklung. Zum Thema Handel schweigt er in den letzten Jahren eher.
Alle drei Ökonomen haben sich aber mittlerweile zu TTIP bzw. TPP (Transpazifische Partnerschaft) geäussert. In diesem Artikel versuche ich die geäusserten Aussagen ein wenig zu bündeln.
Worin sind sich alle drei Ökonomen einig?
Kurz gesagt, alle drei geben den Kritikern des Abkommens Recht. TTIP ist Ihrer Ansicht nach in derzeitiger Form eher schädlich als gut.
Jagdish Bhagwati, der größte Befürworter des Freihandels, sieht in TTIP eine Gefahr für das internationale Handelssystem und nennt einige Gründe. Zunächst führen bilaterale bzw. regionale Abkommen dazu, dass Länder ausserhalb des Abkommen diskriminiert werden. Das ist nicht im Sinne des Freihandels. Bhagwati kämpft seit Jahren dafür, dass solche Verhandlungen im Rahmen der Welthandelsorganisation geführt werden. In seinen Augen geht es beim Freihandel um Nichtdiskriminierung, während Abkommen wie TTIP gerade auf Diskriminierung bauen. Insofern ist es ein Rückschritt für den Freihandel.
Weiterhin sagt Bhagwati, dass die Themen teilweise wenig mit Handel zu tun haben. Im Vordergrund stehen Interessen von multinationalen Konzernen, so zum Beispiel die Ausweitung des Patentschutzes. Patente haben eigentlich nicht viel mit Handel zu tun, werden aber gerne in solche Abkommen eingebaut. Das führte bereits in der Welthandelsorganisation zu viel Unmut.
Zuletzt bemängelt er die Geheimniskrämerei der Verhandlungen. Wenn es um solche Abkommen geht, dann kann man nicht einfach nur die Unternehmen einbeziehen. Die Bevölkerung muss eingebunden werden, so die Ansicht von Bhagwati. Wenn das nicht geschieht, dann muss Schlimmes befürchten werden.
Die gleiche Kritik äussert auch Stiglitz. Er befürchtet, dass Konzerne darauf drängen werden, die Regulierungen zwischen den Handelsblöcken zu harmonisieren. Das ist prinzipiell nicht schlecht. Harmonisierung führt dazu, dass der Handel erleichtert wird. Die Frage ist nur, auf welche Standards man sich einigt. Hier sieht er einen Abwärtstrend. Konzerne werden darum kämpfen, dass die Standards nicht hoch sein werden, sondern so niedrig wie nur eben möglich. Ein gutes Handelsabkommen sieht anders aus.
Wenn Gesellschaften hohe Umweltstandards haben, dann kann es nicht Ziel von Handelsabkommen sein, diese Standards zu senken, nur um den Handel zu befeuern. Dem pflichtet Bhagwati bei.
Wenn es um die Bewertung der Studien geht, die angeblich TTIP einen positiven Effekt für die Wirtschaft versprechen, so kritisiert Bhagwati, dass der Ansatz dieser Studien eher auf Meinungen den harten ökonomischen Berechnungen beruht. Auch Krugman verspricht sich nicht viel für die einzelnen Wirtschaftspartner. Weil die Zölle mittlerweile zwischen Europa und USA sehr niedrig sind, kann ein positiver Effekt für den Arbeitsmarkt gar nicht erwartet werden.
Nicht jede Aussage dieser Ökonomen überzeugt
Man muss dazu sagen, dass nicht jede Kritik dieser Ökonomen überzeugend ist. Paul Krugman hat sich beispielsweise nur beiläufig in einem kurzen Blogbeitrag zu diesem Thema geäussert. Dabei lies er durchblicken, dass er sich weder viel Positives noch nicht viel Negatives von diesem Abkommen verspricht. Seine Kritik zielte eher auf die Annahme, dass es zu mehr Exporten und letztlich Arbeitsplätzen führen wird. Seiner Ansicht nach wir das nicht eintreten. Trotzdem hat man das Gefühl, er habe sich gar nicht so richtig mit den Verhandlungen befasst. Letztlich äussert er sich nur in wenigen Sätzen lapidar über TTIP.
Die Kritik von Joseph Stieglitz überzeugt schon eher. Er äusserte sich zunächst zu TPP und nur in einem Artikel zu TTIP. Die Kritik ähnelt sich aber. Er ist kein Gegner des Freihandels per se, sieht aber das in den letzten Jahren oft Abkommen geschlossen wurden, die viele Ideen des Freihandels ad absurdum führten. Trotzdem gehört Stiglitz zu den Ökonomen, die manchmal sehr polemisch und einzeitig argumentieren. Er geniesst zwar einen guten Ruf unter Globalisierungsgegnern, aber in seiner Zunft erntete er einige Kritik wegen teilweise irreführender Behauptungen. Wer es genauer wissen möchte, dem sei der offene Brief von Kenneth Rogoff empfohlen. Stiglitz gehört zu den größten Ökonomen, allerdings kommt er mit einer Neigung, nie falsch zu liegen. Dabei muss man sagen, dass die Kritik sehr allgemein bleibt. Bereits in seinem Buch Fair Trade kann man die gleichen Punkte hören, die er gegen TTIP äussert. Hier wird man die Vermutung nicht los, dass er einfach generelle Probleme auf TTIP überträgt. Letztlich gelten seine Sorgen der Wiederholung alter Fehler.
Wenn aber Jagdish Bhagwati über TTIP spricht, dann werde ich hellhörig. Er gehört nicht nur zu den Ökonomen, der in seiner Zunft einen guten Ruf genießt, sondern weiss auch um die Tücken solcher Verhandlungen. Dabei gefällt mir seine ausgewogene Kritik. Er gehört nicht zu denen, die sagen, es ist nur gut oder eben nur schlecht. Bei aller Kritik an TTIP sagt er auch, dass Europa und USA gleichwertige Verhandlungspartner sind. Keiner der Blöcke hat also eine Vormachtstellung, die er einseitig missbrauchen kann. Das sieht in den TPP-Verhandlungen schon anders aus. Dort haben die Amerikaner mehr Einflussmöglichkeiten.
Er beruhigt auch die Gemüter, wenn es um die europäischen Sorgen bezüglich Kulturabbau und genmanipulierter Lebensmittel geht. Der Freihandel erlaubt solche nationalen Besonderheiten, sofern sich Europa dafür einsetzt. Er traut den Europäern jedenfalls zu, auf ihre besonderen Standards zu pochen. Seine Kritik ist alles in allem sehr ausgewogen. Das liegt sicher daran, dass er an vielen solcher Verhandlungen teilgenommen hat. Er kennt neben der Theorie eben auch die Praxis sehr gut.
Ferner muss man sagen, dass die Bürgerinitiativen erste Früchte getragen haben und die Verhandlungsagenda transparenter geworden ist. Die Europäische Kommission bemüht sich derzeit, die Vorschläge publik zu machen. Viele sehen darin eine Scheintransparenz, gerade weil es derzeit so viele Texte sind, die dort publiziert werden. Es ist schwer, sich da durchzuarbeiten. Ich werte, den Versuch transparenter zu werden, trotzdem als ersten Schritt in die richtige Richtung. Fakt ist auch, dass dort wirklich komplexe Dinge verhandelt werden. Eine große Flut an Dokumenten bleibt da nicht aus.
Und wenn die Kommission - wie jüngst in dem Papier 10 Mythen über TTIP - unmissverständlich deutlich macht, dass die EU-Standards nicht abgebaut werden und nationale Besonderheiten Berücksichtigung finden, dann nehme ich sie zunächst beim Wort. Insofern hat Bhagwati Recht, wenn er sagt, dass hier eben zwei mächtige Handelsblöcke verhandeln. Europa wird sich vom Rottweiler USA nicht einfach in die Ecke drängen lassen. Wenn es hart auf hart kommt, wird die EU problemlos die Verhandlungen aussetzten, wie sie es in der Doha-Runde 2006 tat. Schließlich entscheidet die Kommission nicht alleine. Auch nationale Regierungen haben da noch ein Wörtchen mit zu reden. In kommender Zeit werde ich noch ausführlich vorstellen, wie der Handelskommissar sein Mandat zum Verhandeln erhält.
Die größte Sorge bleibt derzeit, was mit den Ländern ausserhalb des Abkommens geschehen wird. Selbst wenn das Abkommen alle Befürchtungen der EU-Bürger ausräumt, so bleibt die Frage, welche Folgen es für den Handel mit dem Rest der Welt haben wird. In den Augen Heiner Flassbecks von der Friedrich-Ebert-Stiftung werden die Folgen negativ ausfallen.
Alles in allem fällt das Urteil der wichtigsten Ökonomen über TTIP nicht sehr positiv aus. Und obwohl ich ein Befürworter des Freihandels bin, so werde ich zunehmend skeptisch, ob dieses Abkommen gut ist. Wenn diese Troika in ihren Ansichten mal übereinstimmt - was selten der Fall ist - dann muss etwas dran sein. Gewöhnlich streiten sich die Drei nämlich.
Artikel von Jagdish Bhagwati
Free-trade guru denounces pacts sought by Obama
Artikel von Joseph Stiglitz
On the Wrong Side of Globalization
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Artikel von Paul Krugman
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Paul Krugman is WRONG on TPP, here’s why